Pastorin Christina Ernst akademisch

20161028

TWISTRINGEN - Der Mensch steckt weiterhin voller Geheimnisse, obwohl Internet und naturwissenschaftliche Analysen ihn immer gläserner erscheinen lassen. So lautet die ambivalente Bilanz des jüngsten Akademieabends des Twistringer Gymnasiums am Mittwochabend. Im mit Oberstufenschülern, Lehrern und Gästen gut besuchten Schulforum beleuchtete und erleuchtete die Wissenschaftlerin und Theologin Dr. Christina Ernst das Publikum thematisch zwischen den Polen Ver- und Enthüllung des Menschen. Dass es dabei auch um Glauben ging, verdeutliche der Arbeitstitel „Adam, wo bist du?“.

Der Abend war alles andere als staubtrocken. Für Klarheit und Lebendigkeit sorgte die Referentin, seit Februar Pastorin der Martin-Luther-Kirchengemeinde. Christina Ernst, die ihre Doktorarbeit über den sozialen Netzwerker im Internet Facebook schrieb, langweilte nicht mit Phrasen und ehernen Weisheiten. Die junge Frau führte nicht nur mit einfachen Worten und Bildern in eine komplexe Welt der Widersprüche ein. Sie nannte Gründe und Wurzeln und lieferte auch interessante Antworten.

Ohne Geheimnisse keine Dauerbeziehung

Worum ging es? Um die These, dass Geheimnisse notwendig sind, auch und besonders in einer wissenschaftsgläubigen und virtuellen Welt, in der der Mensch immer durchschaubarer scheint.

Die Referentin erwies sich keinesfalls als Facebook-Feindin. Im Gegenteil. Netzwerke wie Facebook förderten den Austausch und eröffneten die Möglichkeit, neue Welten kennenzulernen. Sie böten auch ein Forum, sich darzustellen. Das brauche jeder. Diese Suche nach Aufmerksamkeit und Mitteilung sei so alt wie die Menschheit.

Die Wissenschaftlerin erwähnte beispielhaft den Beichtstuhl als Gesprächsforum, das Sofa in der Psychoanalyse, den Model-Laufsteg und das Dschungelcamp. Und: „Heute gibt es mit Facebook eine andere Bühne für ein Millionenpublikum.“

Die zweite Seite der gleichen Medaille ist für die Theologin neben dem Wunsch nach Sichtbarkeit auch das Geheimnis. Selbst bei dem nach Öffentlichkeit agierenden Facebook (übersetzt: Buch aus Gesichtern) gebe es ja Mitglieder, die sich anonym und ohne Bild präsentierten.

Christina Ernst ist überzeugt davon, dass ohne Geheimnisse keine dauerhafte Beziehung möglich sei. Das mache das Rätsel Mensch weiterhin spannend und signalisiere, es gebe immer noch etwas zu sagen. Für die Theologin fußt in diesem Glauben, dass immer noch was offen bleibt, auch das christliche Menschenbild. Die Naturwissenschaften könnten viel erklären, letztlich kratzten sie aber nur an der Oberfläche. Und Geheimnisse machten doch auch Spaß und neugierig aufeinander, meinte die Referentin.

Das Spannungsfeld zwischen Geheimnisträgern und Datensammlern erweiterte anschließend das vom ehemaligen Schulleiter Martin Lütjen geleitete Diskussionsforum. Ulrich Helms (Notar) und Birger Schröder (Banker) betonten die Wichtigkeit von Kundendaten, auch persönlichen. Ohne diese Fakten könnten keine Entscheidungen gefällt werden. Gleichzeitig sei der Datenschutz Grundpfeiler jeder Arbeit.

Der gilt auch für den privaten Bereich. Oberstufenschüler Ervi Mbiyeya hatte ein Urlaubsfoto mit Freunden ungefragt über Facebook ins Netz gestellt und musste es löschen.

Wird Gott überflüssig, weil die Geheimnisse um die Menschen immer kleiner werden?, wollte Lütjen von der Referentin wissen. Die Antwort: „Nein.“ Nach ihrem Weltbild wachse der Glaube, weil trotz allen Wissens immer noch mehr da sei.