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Ivar und Dagmar Buterfas-Frankenthal bei ihrem Besuch im Hildegard-von-Bingen-Gymnasium. © Schmidt

Ivar Buterfas-Frankenthal ist einer der letzten Zeitzeugen, die an Schulen über die Zeit des Nationalsozialismus berichten. Jetzt war er am Hildegard-von-Bingen-Gymnasium in Twistringen.

Twistringen – Sommer 1938. Tränen schießen Ivar in die Augen. Der Rektor hat ihn nach Hause geschickt. „Du bist Jude und darfst unsere reine Luft nicht weiter verpesten“, waren seine Worte. Ivar begreift mit seinen sechs Jahren noch gar nicht richtig, was das Wort Jude überhaupt bedeutet. Unter dem Spott seiner Mitschüler verlässt er den Schulhof. Einige Jungen und Mädchen holen ihn ein. Sie halten ihn fest. Ein Junge zieht Ivar die Hose runter und brennt ihm mit einer Zigarette ein Loch in den Oberschenkel. Ivar schreit. Die anderen tanzen, johlen, singen: „Wir werden den Judenbalg jetzt rösten. Wir werden ihn verbrennen!“ Sie legen Papier unter ein Gitterrost, zünden es an und zerren Ivar über das Feuer. Flammen züngeln an seinen Waden hoch.

Bis heute plagen Ivar Buterfas-Frankenthal Albträume. Er ist inzwischen 90 Jahre alt und einer der letzten Zeitzeugen, die an Schulen über die Zeit des Nationalsozialismus berichten. Auch ins Hildegard-von-Bingen-Gymnasium in Twistringen ist er zu diesem Zweck gekommen.

Für eine Zukunft ohne Nationalismus und Rassismus

Es ist seine 1575 Veranstaltung dieser Art. „Und ich mache es gerne, weil ich möchte, dass ihr eine vernünftige Zukunft habt“, sagt er zu den Schülerinnen und Schülern der Jahrgänge acht bis zehn, die vor ihm sitzen und ihm zuhören. Mit einer vernünftigen Zukunft meint er vor allem: Eine Zukunft ohne Nationalsozialismus, Krieg und Rassismus.

Ivar Buterfas-Frankenthal wurde am 16. Januar 1933 als Jüngster von acht Geschwistern geboren – zwei Wochen, bevor Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde. Ivar Buterfas wuchs in Hamburg auf. Seine Mutter war Christin, sein Vater Jude.

1942 wurde der Familie der Boden unter den Füßen zu heiß. Sie floh zu Fuß nach Polen und fand in einer Scheune eines Rittergutes Zuflucht. Vier Monate lang blieb die Familie dort – dann flog sie auf. Sie floh erneut, diesmal zurück nach Hamburg. Dort lebte sie unter anderem im Keller eines zerbombten Hauses. Auch nach 1945 hatte es Ivar Buterfas-Frankenthal nicht leicht. Seine Staatszugehörigkeit war ihm in der NS-Zeit entzogen worden. Es dauerte rund zwei Jahrzehnte, bis er sie wiederbekam.

„Mit dem Fehlen der deutschen Staatsbürgerschaft bin ich nach dem Kriege durch die Hölle gegangen. Ich bekam keine Lehrstelle, keine Unterstützung, nichts“, so Ivar Buterfas-Frankenthal bei seinem Besuch im Twistringer Gymnasium.

Neues Buch von Ivar Buterfas-Frankenthal: „Von ganz, ganz unten“

Seine ganze Geschichte ist zu lesen in dem Buch „Von ganz, ganz unten“, das er zusammen mit seiner Frau Dagmar geschrieben hat.

Der Zweite Weltkrieg hat Schätzungen zufolge 60 Millionen Menschen das Leben gekostet. „60 Millionen Tote unter dem Hakenkreuz“, verdeutlicht Ivar Buterfas-Frankenthal. Er spricht in den Schulen auch über die Gräueltaten in Konzentrationslagern und unmenschlichen Versuche an Kindern.

„Diese Zeiten werden natürlich nie wieder kommen, das ist uns allen klar“, meint er. „Aber es ist auf unseren Straßen in Deutschland schon wieder sehr, sehr unruhig. Und das liegt daran, dass sich schon wieder sehr viel braunes Gedankengut breitmacht. Das wollen wir mit aller Macht verhindern.“ Die Geschichte dürfe sich nicht wiederholen, mahnt er. „Es ist schon viel gefährlicher auf Deutschlands Straßen, als ihr alle glaubt.“

Viele Juden, die nach dem Krieg nach Deutschland zurückgekehrt seien, würden schon wieder auf gepackten Koffern sitzen. Er erinnert an den Anschlag in Halle 2019, bei dem ein Rechtsextremist in einer Synagoge ein Massaker anrichten wollte. Als der Täter nicht in die Synagoge kam, erschoss er Passanten.

Ivar Buterfas-Frankenthal appelliert, jedem Menschen mit Toleranz und Respekt zu begegnen – unabhängig von Hautfarbe, Religion oder Nationalität.