20201011

Plötzlich ist kein Kind mehr in der Schule. Der Wechsel zum Homeschooling hat im Landkreis gut funktioniert. Die meisten Schulen arbeiten seit Jahren an digitalen Konzepten. © Julian Stratenschulte / dpa

UMFRAGE: Sind die Schulen gerüstet für längeranhaltendes Homeschooling?

Landkreis Diepholz – Immer wieder sind Schulen in Niedersachsen von coronabedingten Einschränkungen betroffen. Im Landkreis Diepholz waren bereits Schüler aus Brinkum, Weyhe und Sulingen in Quarantäne. Über allem steht die Sorge, dass es wieder einen Lockdown gibt. Was dann? Wir haben in einigen Schulen nachgefragt: Wie sieht es aus in Sachen Infrastruktur? Wie groß ist die Gefahr, dass Schülerinnen und Schüler aufgrund fehlender Betreuung – oder Technik – den Lehrkräften entgleiten?

Peter Schwarze, Leiter des Hildegard-von-Bingen-Gymnasiums in Twistringen, beantwortet die Frage „Ist das Gymnasium – Stand heute – länger anhaltendem Homeschooling gewachsen?“ mit einem klaren „Ja.“ Aber er hofft inständig, dass es nicht dazu kommt.

 

Die Erfahrungen der vergangenen Monate hätten gezeigt, „dass wir bereits gut vorbereitet waren“. Das liege daran, dass das Gymnasium bereits vor fünf Jahren eine Intranet-Plattform eingeführt hat. So seien die Tools weder für die Pädagogen noch für die Schüler neu gewesen – „allein die Nutzung war intensiver“.

Schwarze erläutert die gängige Praxis: „Bei uns hat jeder Schüler seit Jahren bereits eine eigene Mailadresse plus Datei. Wir haben Regeln vereinbart. Alle müssen täglich bis 18 Uhr ihr Postfach sichten. Die Schüler sind in der Holschuld.“ Und sie würden diese beherzigen.

 

Auch für die Pädagogen gebe es ein internes Mitteilungsbuch, um den Vertretungsplan und andere Aufgaben online abzurufen.

„Natürlich mussten wir uns auch mit neuen Sachen vertraut machen“, so der Schulleiter. Aber so richtige Probleme habe es nicht gegeben. „Wir haben ein junges Kollegium mit Grundwissen, das im Wesentlichen sehr aufgeschlossen ist, was neue Medien angeht.“ Die etwas Kompetenteren hätten ihr Wissen mit den anderen geteilt. „Im Vordergrund stand immer die Frage nach der Funktionalität“, so Schwarze. Neu für alle seien die Videokonferenzen gewesen.

Den Lehrern stand ein Potpourri an Aufgabenmodulen zur Verfügung. So mussten Schüler beispielsweise bis 17 Uhr ihre Aufgaben abgeben und hochladen, diese wurden direkt korrigiert. „Es gibt auch eine Chatfunktion, in der sich die Pädagogen mit Schülern austauschen können – einzeln, aber auch in Gruppenräumen.

Dass einige Schüler aufgrund fehlender Betreuung oder Technik entgleiten könnten, sieht Schwarze nur bedingt. „Wir haben schnell die Erkenntnis gewonnen, was geht und was nicht geht. Es muss nicht jeder einen Hochleistungs-PC haben.“ Manchmal reichte schon ein Handy.

Die Schule hatte vorab Anfragen bei den Eltern gemacht, was vorhanden war. Einige wurden vonseiten der Schule mit Geräten ausgestattet. „Schwierig ist es bei Haushalten mit mehreren Kindern, in denen die Eltern womöglich noch im Homeoffice arbeiten“, so Schwarze. Da seien Grenzen gesetzt.

Ebenso bestehen Grenzen bei der Internetverbindung. „Da wird ein Lernvideo mit Schülern gedreht, das dann zwei Stunden im Dorf braucht, bis es hochgeladen ist.“ – Nicht funktional.

Unterm Strich ist Homeschooling für Schwarze ein Mittel, um eine kurze Zeitspanne zu überbrücken. Langzeitunterricht möchte er sich unter diesen Umständen nicht vorstellen. „Schule ist keine reine Wissensanstalt. Die Beziehungsarbeit bleibt auf der Strecke. Es ist doch etwas ganz anderes, wenn ich mit jemandem ein Problem erläuterte, wenn ich die Mimik, Gestik, die Emotionen sehe und erlebe. Die Jugendlichen lernen, vor der Klasse zu sprechen, das gibt Selbstvertrauen. Es sind die Softskills, die für die Persönlichkeitsbildung so wichtig sind.“

Derzeit herrsche eine unglaublich gute Stimmung am Gymnasium. „Die Schüler sind froh, wieder zur Schule gehen zu dürfen“, sagt der Schulleiter. Das zeige doch, wie wichtig die persönliche Ebene sei – die persönliche Begegnung am Lernort.

Der Digitalpakt – außerhalb von Corona – sei eine tolle Sache. Aber eben nur als Ergänzung.

Übrigens gebe es in der kommenden Woche am Gymnasium eine Lehrerkonferenz, in der die Rückschau Thema sei.

Mit zwei Fragebögen – einem für die Schüler und einem für die Eltern – versucht das Gymnasium Syke derzeit zu evaluieren, wo die Schule im Falle einer weiteren Homeschooling-Phase ein Beratungsangebot bereithalten sollte. „Die Ergebnisse werden uns nach den Herbstferien vorliegen“, erklärt der kommissarische Schulleiter Andreas Gläser.

Die erste Phase des virtuellen Unterrichts nach den Osterferien bezeichnet Gläser als „Kraftakt“ für das Lehrerkollegium: Innerhalb kurzer Zeit hätten sich die Lehrkräfte in die Funktionsweise der verwendeten Lernplattform (Microsoft Teams) einarbeiten müssen. „Das war für einige sehr fordernd, am Ende sind aber alle gut zurechtgekommen.“ Nicht zuletzt durch gegenseitige Hilfe. Gläser lobt: „Da gab es viel Unterstützung unter den Kollegen.“

Eine neuerliche Homeschooling-Phase käme durch die gesammelten Erfahrungen ohne derartige Startprobleme aus. Doch auch Gläser sieht die Gefahr, dass einige Schüler mehr darunter leiden könnten als andere – je nachdem, „wie die Situation zu Hause ist“.

Das Hardware-Problem habe man dabei mithilfe des Landkreises weitgehend gelöst, so der Schulleiter. Rund 40 Tablets habe der Kreis zur Verfügung gestellt. Wer sich bislang nur per Smartphone einloggen konnte, könnte sich nun eines der iPads ausleihen.

Doch allem Einsatz auf beiden Seiten zum Trotz glaubt auch Gläser, dass über den Unterricht per Computer nicht der ganze Stoff vermittelt werden kann. „10 bis 15 Prozent gehen da sicher verloren.“

Nicht zuletzt aus diesem Grund seien auch die Lehr- und Prüfungspläne mit entsprechenden Hinweisen versehen worden, welcher Teil des Unterrichtsinhalts gegebenenfalls ausgelassen werden könnte.

An der Oberschule Sulingen hapert es noch an der Infrastruktur. Christopher Axmann, Rektor der Carl-Prüter-Schule, beschreibt die DSL-Leitung an seiner Schule „aktuell als Nadelöhr“. Innerhalb der Schule seien die in naher Zukunft geplanten Modernisierungsmaßnahmen (schnellere und leistungsfähige Access Points) allerdings ausreichend für die tragbare Umsetzung von digital gestütztem Unterricht beziehungsweise digitalem Unterricht.

Auch die Sulinger haben sich bereits vor zwei Jahren im Bereich der Schulorganisation auf den Weg gemacht und grundlegende Kenntnisse über die Nutzung eines LMS (Lern Management System) erworben. Axmann verhehlt jedoch nicht: „Die Vielfalt der technischen Möglichkeiten und die Kompetenz, diese sinnvoll in einen didaktischen Gesamtkontext für den Unterricht einzubinden, stellt aktuell eine der Herausforderungen dar.“

Die Schule sei bemüht, jeden Schüler beziehungsweise deren Elternhaus zu erreichen und regelmäßig in Kontakt zu bleiben. Das gelinge zumeist. Da nicht alle über die gleichen technischen Voraussetzungen verfügen, seien Einzelfalllösungen erforderlich. „Das steigert die Komplexität der Lernbegleitung für die Lehrkraft.“

Und wie sieht es an den Grundschulen aus? Das Kollegium der Grundschule am Lindhof in Syke sieht sich durchaus gewappnet für einen zweiten Lockdown. „Ich finde, wir haben die Herausforderung Homeschooling beim ersten Mal ganz gut gemeistert“, erklärt Schulleiterin Tina Lehmann auf Nachfrage – nicht zuletzt auch mit Hinweis auf den Preis, den die Schule für ihr Sportkonzept gewonnen hat. Es sei relativ zügig gelungen, alle Kinder mit Unterrichtsmaterial zu versorgen. Und auch die Eltern hätten sich zum größten Teil sehr kooperativ gezeigt.

Lehmann sieht ihre Schule auch technisch gut gerüstet. Für Familien, in denen der Internetzugang mangels Hardware ein Problem war, habe es „ein schnelles Nachsteuern“ mithilfe der Stadt Syke und des Landkreises gegeben – in Form einer Sofortausstattung mit Tablet-Computern.

Der Unterricht selbst fand an der Grundschule nicht online statt: Vielmehr erhielten die Kinder ihr Unterrichtsmaterial in Form von kopierten Wochenplänen. Allerdings bemühten sich die Lehrer, online und über das Telefon engen Kontakt zu ihren Schützlingen zu halten.

Die Grundschulleiterin sieht im Homeschooling durchaus „ein großes Risiko, dass man den einen oder anderen Schüler an der einen oder anderen Stelle verliert“ – und zwar in noch größerem Maße als im Präsenzunterricht. Dabei geht die Schere durch den Lockdown noch weiter auseinander: Während der Homeschooling-Phase sei nach ihrer Wahrnehmung deutlicher geworden, wer Schwierigkeiten hat.

Tina Lehmann schätzt, dass durch das Fehlen des persönlichen Kontakts in der Schule gut und gerne 30 Prozent der inhaltlichen Stoffvermittlung verloren gehen können. „Es ist schon was ganz Anderes, wenn man ein Kind jeden Tag sieht.“